Transfergesellschaften für Air-Berlin-Personal: Aktuelle Lage und Hintergründe
„Über Nacht“ handlungsfähig
Rund 1.500 ehemalige Air Berlin-Beschäftigte haben einen Transfer-Vertrag unterschrieben, der sie vor unmittelbarer Arbeitslosigkeit bewahrt. Für die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz haben sie sechs Monate Zeit, erhalten währenddessen 75 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens und werden von der Transfergesellschaft bei ihrer notwendigen Neuorientierung unterstützt.
Im September 2017 war die große Transfer-Lösung für Air Berlin gescheitert, die circa 4.500 Beschäftigten der insolventen Fluggesellschaft zugutegekommen wäre. Die Bundesregierung sowie die betroffenen Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen wollten nichts oder viel zu wenig zur Finanzierung beitragen. Der Berliner Senat war die positive Ausnahme. Sein Beitrag von bis zu 11,5 Millionen Euro hat den Weg für die Gründung einer Transfergesellschaft freigemacht. Nach dieser Zusage glückte auch die Finanzierung der Transfergesellschaft für das Bodenpersonal in NRW über den Europäischen Sozialfonds und das Land NRW.
Wie oft in einer Krisensituation galt es unter unsicheren und instabilen Bedingungen „über Nacht“ Handlungsfähigkeit zu beweisen. Hierzu hat die Erfahrung der drei beteiligten Transferträger BOB Transfer, Mypegasus und die Berliner PersonalTransfer beigtragen. Sie bilden ein Konsortium, das von der Essener PCG Project Consult koordiniert wird. PCG Geschäftsführer Klaus Kost hebt hervor, dass das Land Berlin, die Gewerkschaft ver.di sowie der Generalbevollmächtigte der Air-Berlin, Frank Kebekus, und der Sachwalter Lucas F. Flöther entscheidend zum Gelingen beigetragen haben. Gegenwärtig (Stand Januar 2018) sind 309 Beschäftigte des früheren Bodenpersonals registrierte Transfer-Teilnehmer, 511 weitere Verträge sind abgeschlossen, so dass sich im Laufe des Jahres 2018 eine Teilnehmerzahl von rund 800 ergeben wird.
Neben der Transfergesellschaft für das Bodenpersonal konnte ein zweites Transferprojekt für die Beschäftigten der airberlin technik GmbH gebildet werden, die von der Bietergemeinschaft „Zeitfracht-Nayak“ aufgekauft wurde. Die hier anfallenden Transferkosten werden aus dem Vermögen von airberlin Technik finanziert und zu einem kleinen Teil vom Land NRW mit ESF (Europäischer Sozial Fonds) -Geldern. In diese Transfergesellschaft sind inzwischen 562 Technik-Mitarbeiter übergewechselt, 56 weitere Beschäftigte haben den Transfervertrag unterschrieben und werden in Kürze Transfer-Beschäftigte sein.
Bevor die Arbeitnehmer in die Transfergesellschaft überwechseln, erfolgt ein individuelles Profiling jeder/s einzelnen Beschäftigten: Gemeinsam mit dem Transferträger werden der bisherige Berufsweg, die Situation auf dem Arbeitsmarkt und künftige Beschäftigungsmöglichkeiten evaluiert. Ein solches Profiling ist auch Voraussetzung dafür, dass die Bundesagentur für Arbeit das Transfer-Kurzarbeitergeld ausbezahlt. Transfergesellschaften werden generell in enger Kooperation mit der Arbeitsagentur eingerichtet. Dabei ist ein gesetzlich geregeltes Verfahren zu beachten, in das auch die Arbeitnehmervertretungen, die Gewerkschaften, also im Fall von Air-Berlin die Gewerkschaft ver.di, und die Insolvenzverwaltung eingebunden sind. Die Laufzeit der beiden Transferprojekte endet voraussichtlich am 31.12.2018.
Air-Berlin-Insolvenz: Bis zu eine Million Gläubiger
Am 1. November 2017 eröffnete das Amtsgericht Berlin Charlottenburg die Insolvenzverfahren über das Vermögen der AirBerlin PLC und deren Töchter AirBerlin PLC & CO. Luftverkehrs KG sowie airberlin technik GmbH .
Zwei der der Töchter des Unternehmens waren nicht insolvent, erstens die Fluggesellschaft Niki mit Sitz in Wien und rund eintausend Beschäftigten, zweitens die in Dortmund ansässige Luftverkehrsgesellschaft Walter (LGW) mit ca. 350 Mitarbeiter/innen. Eigentlich wollte die Lufthansa auch Niki aus der Insolvenzmasse von Air Berlin übernehmen, doch die europäische Kartellbehörde stellte sich dagegen. Jetzt hat die Muttergesellschaft von British Airways und Iberia, die „International Airlines Group“ (IAG), Niki für 36,5 Millionen Euro erworben. „IAG lässt die Marke verschwinden“ schrieb die FAZ, „doch der Flugbetrieb bleibt im Billigflieger Vueling erhalten: 740 der 1.000 Mitarbeiter werden übernommen, 15 Airbus-A320-Flugzeuge gehen an Vueling über – und dazu die Landerechte in Düsseldorf, München, Wien, Palma de Mallorca und Zürich.“ Allerdings: Es gibt (Stand Januar 2018) zwischen der deutschen und österreichischen Justiz Unklarheiten über das Insolvenzverfahren.
Zwischen Eröffnung und Antrag
Investoren, Zulieferer, Kunden und Mitarbeiter haben Ansprüche an das insolvente Unternehmen. „Air Berlin und der Sachwalter gehen zum gegenwärtigen Zeitpunkt von bis zu einer Million beteiligten Gläubigern aus“, hieß es Ende 2017 auf der Website www.airberlin-inso.de/start, auf welcher der Sachwalter Lucas F. Flöther über den Stand des Insolvenzverfahrens informiert und die Beschlüsse des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg dokumentiert.
Zweieinhalb Monate vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (am 15. August 2017) stellte Air Berlin, mit 1,5 Milliarden Euro verschuldet, „Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung“, nachdem der Hauptaktionär Etihad Airways, die nationale Fluggesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, eine weitere finanzielle Unterstützung ausschloss. Dank einer staatlichen Bundesbürgschaft für einen Übergangskredit von 150 Millionen Euro konnte der Flugbetrieb weitergehen – bis zum 27. Oktober 2017. Eigene Flugzeuge besitzt Air Berlin schon seit Juli 2016 nicht mehr. Im Februar 2017 hatte der ehemalige Lufthansa-Manager Thomas Winkelmann den Vorstandsvorsitz bei Air Berlin übernommen.
In den rund zehn Wochen zwischen Insolvenz-Antrag und Insolvenz-Eröffnung gaben u.a. Lufthansa, easyJet und Niki Lauda (zusammen mit Condor) Angebote für Teile von Air Berlin ab. Am 12. Oktober 2017 meldet die Süddeutsche Zeitung:
„Es ist besiegelt: Ein großer Teil der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin bekommt einen neuen Besitzer. Die Lufthansa wird zum Jahresende 81 der zuletzt etwa 130 Maschinen der Air-Berlin-Flotte übernehmen. So steht es im Kaufvertrag, den Lufthansa-Chef Carsten Spohr und Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann am Donnerstag unterzeichnet haben. Der Verkauf beinhaltet die österreichische Air-Berlin-Tochter Niki, den Regionalflieger LGW, 20 weitere Flugzeuge sowie die 38 Air-Berlin-Maschinen, die Lufthansa bereits jetzt inklusive Besatzungen von Air Berlin gemietet hat. Der Kaufpreis liegt Angaben Air Berlins zufolge bei etwa 210 Millionen Euro.“
„Besiegelt“ war es noch nicht, denn zu diesem Zeitpunkt hatte die europäische Wettbewerbsbehörde dem Deal noch nicht zugestimmt.
Start- und Landerechte insolventer Fluggesellschaften werden gewöhnlich stillgelegt. Die sogenannten Slots, die Zeitfenster zum Starten und Landen, gelten als das Gold der Verkehrsluftfahrt. Im Fall Air Berlin gelingt es der Lufthansa, die Slots sowie die Flugzeuge sofort weiter zu nutzen, indem sie die Streckenrechte und die Leasingverträge übernimmt – aber nicht die Mitarbeiter. „Wir müssen die Fakten noch rechtlich bewerten “, sagt ver.di Vorstandsmitglied Christine Behle, die auch dem Lufthansa-Aufsichtsrat angehört, den Stuttgarter Nachrichten. „Wenn wir eine Chance sehen, werden wir auf Betriebsübergang klagen.“ Der Paragraf 613a des Bürgerlichern Gesetzbuches regelt: „Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein.“
Am 28. Oktober 2017 schreibt Spiegel-Online:
„Nach Lufthansa hat sich auch die britische Billig-Fluggesellschaft Easyjet mit Air Berlin auf eine Teilübernahme geeinigt. Easyjet werde von der bankrotten Airline 25 geleaste A-320-Flugzeuge sowie Start- und Landerechte für Tegel übernehmen, teilte das Unternehmen mit. Dafür will es Air Berlin 40 Millionen Euro zahlen. Zudem will Easyjet rund tausend Air-Berlin-Mitarbeitern neue Jobs anbieten, meldet die Nachrichtenagentur Reuters.“
Teile der „Wartungstochter“ airberlin technik GmbH kauft das Berliner Logistikunternehmen Zeitfracht zusammen mit der Nayak-Gruppe, die als Wartungsunternehmen selbst gerade eine Insolvenz überstanden hat. Zu den Kaufbedingungen, ein Kaufpreis ist nicht bekannt, gehören Tarifabsenkungen sowie Serviceaufträge von Niki und LGW.
Zur Lage der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Aus arbeitspolitischer Perspektive war Air Berlin keineswegs ein Billigflieger, denn die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten lagen im Branchendurchschnitt, nicht darunter. Aber die Lage der Mitarbeiter bietet das Bild eines großen Durcheinanders: Die verschachtelte Unternehmensstruktur von Air Berlin, die unterschiedlichen Übernahme-Praktiken, welche die Käufer von Teilen der insolventen Fluggesellschaft ankündigen, und die Abgrenzungen in der Belegschaft selbst (zwischen Cockpit, Kabine, Bodenpersonal und Technik) führen zu einer sehr unübersichtlichen Situation. Die Gesamtbelegschaft hat, wie in der Branche üblich, keinen inneren Zusammenhalt. Ihre Handlungsfähigkeit in der Phase zwischen dem Insolvenzantrag und der Eröffnung des Verfahrens war gering. „Sie sind wahrscheinlich Opfer einer der dreistesten Operationen deutscher Wirtschaftsgeschichte, die vor allem der Renditeoptimierung dient“, meinen die Stuttgarter Nachrichten.
In Stichworten: Die Pilotengewerkschaft Cockpit versucht es auf dem Klageweg, sie sieht tarifvertragliche Abmachungen gebrochen. Für die Flugbegleiter existiert, Stand Anfang Januar 2018, bisher kein Sozialplan. Eine Transfergesellschaft als Angebot für alle Beschäftigten ist politisch gescheitert. Für das Bodenpersonal und die Technik konnten Transfergesellschaften eingerichtet werden.
Die Air Berlin-Beschäftigten sind gegen Ende des Jahres 2017 zum Teil gekündigt, zum Teil ohne Gehalt freigestellt, zu einem Teil bereits in die Transfergesellschaft eingetreten. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 20.11.2017:
„Die Bundesagentur für Arbeit rechnet damit, dass sich etwa 4000 ehemalige Mitarbeiter der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin arbeitslos melden werden. Das geht aus einer Antwort der Behörde auf eine Anfrage der Linkspartei hervor… Demnach hat die Pleite der Airline erhebliche finanzielle Folgen für die Arbeitsagentur. Dem Bericht zufolge haben 7340 bisherige Air-Berlin-Beschäftigte Anspruch auf Insolvenzgeld, das für maximal drei Monate gezahlt wird. Die Behörde rechne dafür mit zusätzlichen Ausgaben von etwa 55,2 Millionen Euro, hinzu kämen die Sozialversicherungsbeiträge… Der durchschnittliche Arbeitslosengeld-Anspruch habe inklusive Sozialversicherungsbeiträgen zuletzt 1574 Euro monatlich betragen.“
Leitbild gute Transferberatung
Die rund 1500 Air-Berlin-Beschäftigten, die in eine Transfergesellschaft eingetreten sind, haben trotz der turbulenten Umstände professionelle Dienstleister gefunden. Das Leitbild Gute Transferberatung sieht diese vier Arbeitsfelder vor: Klärung der lebensweltlichen Situation, Entwicklung einer individuellen Perspektive, individuelle Beratung und Training sowie Organisation beruflicher Bildungsmaßnahmen.
„Das Leitbild Gute Transferberatung basiert auf wissenschaftlichen Arbeiten, die im Diskurs mit Praktiker_innen intensiv reflektiert und auf den Bereich der Beratung von Transferbeschäftigten heruntergebrochen worden sind. Durch die Beteiligung von Berater_innen an diesem Diskussionsprozess erfüllt das Leitbild den partizipativen Anspruch, den es selbst an die Beratung stellt. Es strebt eine hohe Akzeptanz an und will eine kontinuierliche, strukturierte Kommunikation über das professionelle Beratungsverständnis in Transfergesellschaften ermöglichen sowie, als Nebeneffekt, Träger von Transfermaßnahmen in der Einarbeitung neuer Kräfte sowie in der Personalentwicklung unterstützen. Damit trägt das Leitbild auch zu einem kollektiven Verständnis von Fachlichkeit in der Beratung von Arbeitssuchenden bei.“
(Gernot Mühge, Kathrin Filipiak, Susanne Marx: Leitbild gute Transferberatung. Impuls für eine moderne arbeitsmarktpolitische Beratung. FES, WISO direkt, 39/ 2017. http://library.fes.de/pdf-files/wiso/13960.pdf)